im Urmeer

Das Wunder in der Tiefsee
(derzeit die populärste Theorie)

Ursuppe am Meeresgrund?
Hohe Konzentration von Biomolekülen an hydrothermalen Quellen möglich

Wie und wo entstand das erste Leben auf der Erde? Die „Ursuppe“ der Ozeane vor rund vier Millionen Jahren gilt bisher als Ursprung der ersten Lebensformen – nachweisen ließ sich das bislang allerdings nicht. Nun hat jedoch ein internationales Forscherteam tatsächlich entdeckt, dass es im Porensystem von Hydrothermalquellen am Meeresboden aufgrund der großen Temperaturunterschiede lokal zu einer hohen Konzentration von Biomolekülen kommen kann. Sie berichten hierüber im Fachjournal PNAS.

Am Ozeanboden finden sich hydrothermale Quellen, aus denen mehrere hundert Grad heißes Wassers austritt. Erst vor wenigen Jahrzehnten entdeckt, galten sie zunächst als extrem lebensfeindliche Umgebung - bis komplexe Ökosysteme an diesen Quellen nachgewiesen wurden. Zunehmend häuften sich auch Theorien, wonach an diesen Quellen das Leben überhaupt entstanden sein könnte. „Doch alle theoretischen und experimentellen Ansätze zum biochemischen Ursprung des Leben setzen eine hohe Ausgangskonzentration von Biomolekülen voraus“, berichtet Dieter Braun, Leiter einer Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe am Lehrstuhl für Angewandte Physik der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. „Ungeklärt war bislang, welcher natürlich vorkommende Mechanismus dies in den frühzeitlichen Ozeanen hätte ermöglichen können, in denen auch die einfachsten Verbindungen stark verdünnt gewesen sein müssen.“

Akkumulation von Biomolekülen
In Zusammenarbeit mit anderen LMU-Forschern und internationalen Wissenschaftlern konnte er jetzt eine mögliche Lösung für dieses Konzentrationsproblem liefern: „In den ausgedehnten Porensystemen der hydrothermalen Quellen kommt ein Mechanismus zum Tragen, der eine extreme Akkumulation von Biomolekülen erlaubt“, so Braun. In dem porösen Gestein in der Nähe von hydrothermalen Quellen treten hohe Temperaturgefälle auf. Eine Simulation der Prozesse durch Braun und seinen Mitarbeiter Philipp Baaske zeigte, dass in diesen länglichen, nur wenige hundert Mikrometer großen Poren selbst kleine Biomoleküle hochgradig akkumuliert werden können. „Die großen Temperaturunterschiede treiben zwei Effekte an, die Konvektion und die Thermophorese“, erklärt Baaske. „In Kombination können sie eine stark erhöhte Konzentration von Biomolekülen am Boden der Pore bewirken. Dieser Mechanismus ist auch als Gastrennungsröhre oder Clusius-Röhre bekannt und wurde unter anderem versuchsweise zur Isotopentrennung von Uran benutzt.“

Viele Theorien zur Entstehung des Lebens bauen darauf auf, dass sich zunächst kurze Moleküle aus RNA, eine dem Erbmolekül DNA eng verwandte Nukleinsäure, gegenseitig replizierten. Doch war nach bisherigem Wissensstand die für eine derartige „RNA-Welt“ nötigen Konzentration des Moleküls nirgends auf der Erde zu finden. „Unsere Arbeit hat nun aber gezeigt, dass gerade derart kleine Verbindungen wie die kurzen RNA-Moleküle in hydrothermalen Quellen hochgradig akkumuliert werden können“, berichtet Braun. „Eine optimale Konzentration der RNA wird in Poren mit einer Breite von 0,15 Millimetern und einer Länge von etwa 40 Millimetern erreicht. Dabei sammeln sich die Moleküle in einem Bereich an, der in etwa der Größe moderner Zellen entspricht.“ In kleineren Poren werden dagegen längere Moleküle besser akkumuliert. Dieser Mechanismus kann unter anderem auch in der Biotechnologie zur Aufkonzentration von Molekülen aus biologischen und medizinischen Proben benutzt werden.

Molekulare Evolution
Die Poren ähneln in ihrer Wirkung einer Art molekularen Falle, die kleine Biomoleküle genügend aufkonzentriert und längere Verbindungen exponentiell höher akkumuliert. Damit entsteht ein natürlicher Selektionsdruck der Akkumulation zugunsten größerer Moleküle. Das wäre gerade bei der molekularen Evolution ein hilfreicher Effekt, weil damit mehr und mehr Information auf den Verbindungen Platz findet. Gleichzeitig werden die größeren Moleküle verstärkt daran gehindert, sich im umgebenden Meereswasser zu verteilen. „Alles in allem können die hydrothermalen Poren also als selektive molekulare Fallen gerade für die evolutionär interessantesten Moleküle verstanden werden“, meint Baaske.

Diese neue Erkenntnis war nur möglich dank einer engen interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Physikern, Biochemikern und Geologen, unter ihnen auch Kono H. Lemke von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich, und Michael J. Russell vom Jet Propulsion Laboratory in Pasadena, Kalifornien, einem der führenden Spezialisten auf dem Gebiet der hydrothermalen Quellen. Wie Braun in vorangegangenen Arbeiten bereits nachgewiesen hat und in unabhängigen Studien bestätigt wurde, können die Temperaturunterschiede in den hydrothermalen Quellen auch eine der wichtigsten biochemischen Reaktionen antreiben: die Polymerase-Kettenreaktion, kurz PCR, zur Vervielfältigung von Erbinformation. Damit erscheint es gut vorstellbar, dass parallel zur Akkumulation erste thermisch getriebene Replikationsreaktionen stattfanden - anfänglich wahrscheinlich noch mit Hilfe katalytisch aktiver RNA-Moleküle anstatt des hochentwickelten Enzyms Polymerase, das jetzt in der Natur diese Reaktion vorantreibt und auch in Forschungslaboren diese Funktion übernimmt.

Bislang war es nicht möglich, eine realistische experimentelle Kette von den Bedingungen auf der noch jungen Erde zu den ersten replizierenden und evolvierenden Molekülen zu konstruieren - nicht zuletzt wegen der offenen Frage der Aufkonzentrierung der Biomoleküle. „Unsere Arbeit hat zum ersten Mal eine realistische Möglichkeit für eine hohe Akkumulation nachgewiesen“, so Braun. „Es zeigt sich einmal mehr, dass die interdisziplinären Ansätze, die im 'Center for NanoScience' (CeNS) der LMU besonders unterstützt und verfolgt werden, zu weit reichenden Ergebnissen führen können. Auch wenn unsere Ergebnisse keinen hinreichenden Beweis für den Ursprung des Lebens bei den hydrothermalen Quellen liefern können, sind wir der Lösung dieses Rätsels möglicherweise ein großes Stück näher gekommen.“

(Ludwig-Maximilians-Universität München, 11.05.2007 - AHE)


Entstehung des Lebens an Thermalquellen
- Motor des Lebens -

Regte sich vor vier Milliarden Jahren schon Leben auf dem brodelnden, unwirtlichen Planeten Erde? Ein US-Geologe und ein Düsseldorfer Botaniker wollen jetzt im Labor nachspielen, wie die ersten Organismen entstanden sein könnten: in Thermalquellen auf dem Meeresgrund.

Der Reaktor sieht so harmlos aus, als ließe sich damit zur Not auch ein Pils brauen: zwei Drucktanks aus Aluminium, dazu das übliche Geschlängel von Röhren, Pumpen und Ventilen.

Der Geologe Mike Russell hat freilich Größeres als Bier mit seinem Apparat im Sinn. Er will die Zeit zurückdrehen um rund vier Milliarden Jahre. Im Glücksfall trifft er genau die Sekunde, in der wie aus dem Nichts das Leben entstand.

Schlichte Substanzen zirkulieren in den Leitungen, Schwefelverbindungen darunter und Ammoniak, Eisen und Kohlendioxid. In einem Kesselchen vermischen sich die Stoffe, und wenn Russell die Rezeptur richtig kalkuliert hat, spielt sich an diesem Ort der Anfang des Lebens noch einmal ab, vor seinen Augen und fast von allein.

Die wundersame Schöpfungsmaschine steht im Jet Propulsion Laboratory, das die Nasa in Pasadena betreibt. Sie soll ein Rätsel lösen, dem Russell seit zwei Jahrzehnten nachspürt. Er glaubt, dass sich das erste Leben in der Tiefsee regte, im Umkreis gemäßigt heißer Quellen. Anfangs waren es nur seine Berechnungen, die auf die Existenz solcher Quellen auf dem Meeresgrund hinwiesen. Im Jahr 2000 wurden sie dann entdeckt, mitten im Atlantik, 3700 Kilometer östlich von Florida. In 800 Meter Tiefe ragen dort Türme aus weißlichem Kalziumkarbonat aus dem Boden, krumm und zerklüftet, manche so hoch wie 20-stöckige Häuser. Daher der Name, unter dem die Stätte bekannt wurde: "Lost-City", die versunkene Stadt.

Solche Türme, aufgeschichtet vom Auswurf der Quellen, bieten in der Tat ein lebensförderliches Milieu: In ihren Bläschen und Poren siedeln heute zahlreiche Mikroorganismen. Die Temperatur in den Schloten steigt selten über 90 Grad, und das Wasser ist reich an nahrhaften Stoffen.

In der wilden Urzeit des Planeten gab es so gemütliche Gegenden wohl nur in der Tiefsee. Die Kruste der Erde war damals noch kaum erkaltet, der Tag dauerte keine fünf Stunden, und der Mond zog so enge Kreise um den Erdball, dass er unentwegt den Urozean aufwühlte. Gesteinstrümmer stürzten vom Himmel, nicht selten über 50 Kilometer dick, und wo sie einschlugen, verdampften die oberen Schichten des Meerwassers. Vulkane brachen aus, und Stürme fauchten, bis zu 700 Grad heiß, über die zerschlagenen Inseln, die sich damals aus dem Wasser erhoben.

Viele Millionen Jahre währte der Terror. Jeder Lebenskeim an Land, der zufällig sämtliche Katastrophen überstanden hätte, wäre in der harten UV-Strahlung zerfallen, mit der die Sonne die Erde sengte - eine abschirmende Ozonschicht in der Atmosphäre gab es noch nicht.

Schutz bot dagegen der stockfinstere Meeresgrund. In den Quellengebieten vom Typ Lost City herrschte der Komfort eines Thermalbades. Das Meerwasser versickert dort durch Risse und Klüfte in den Untergrund, erhitzt sich und steigt wieder empor, angereichert mit Mineralien, die im kühleren Meerwasser ausflocken.

Diese gemäßigten Hydrothermalquellen ähneln den "Schwarzen Rauchern", jenen qualmenden Tiefseeschloten, die ebenfalls als mögliche Brutstätten des Lebens gelten. Die Raucher finden sich vor allem entlang den brüchigen Nahtstellen, wo die Kontinentalplatten auseinanderstreben - allerdings ist das Wasser, das sie ausspeien, extrem heiß; bis zu 400 Grad haben Forscher gemessen. Die weißlichen Türme dagegen sind etwas abseits der Bruchlinien gelegen, und ihr Quellwasser ist lebensfreundlicher temperiert. Russell ist überzeugt, dass die ersten Biomoleküle hier viel eher entstehen konnten. Deshalb will er die spezielle Chemie dieser ozeanischen Kurlandschaften jetzt in seinem Simulationsreaktor nachbauen: "Mehr als 20 Jahre hat es mich gekostet, bis meine Theorie genügend ausgereift war", sagt er.


Unter hohem Druck wird der Apparat bald kühles, eisenhaltiges Meerwasser mit dem heißen Sud mischen, wie er in Lost City aus dem Untergrund hervorsprudelt. Was sich dann im Reaktor ereignen sollte, hat der Geologe immer wieder durchkalkuliert. "Zunächst wäre ich schon glücklich, wenn ein paar Aminosäuren entstünden", sagt er. Mit etwas Probieren aber gelingen später vielleicht auch komplexere Lebensbausteine, zum Beispiel Proteine.

Vor einigen Jahren tat sich Russell mit William Martin zusammen, einem Professor für Botanik an der Uni Düsseldorf. Die beiden tüftelten einen kompletten Ablaufplan für die Entstehung des Lebens aus, beginnend mit spontanen Reaktionen der Grundstoffe, wie sie im Umkreis der Quellen reichlich vorkommen. Am Anfang steht der Wasserstoff, der in weiten Teilen des Ozeans unentwegt aus der Erdkruste aufsteigt und auf das Kohlendioxid trifft, das im Meerwasser gelöst ist - eine Kette von Umwandlungen kommt so in Gang.

Die Türme wiederum bieten dem Wechselspiel der chemischen Reaktionen zahllose Bläschen und Poren als Zufluchtsorte. In deren Innerem können sich einfachste Biomoleküle, sicher umschlossen, allmählich zu längeren Ketten zusammenfinden. Die dünnen Wände dieser Séparées sind oft halb durchlässig, vergleichbar der feinen Membran, in die lebende Zellen gehüllt sind.

Sie funktionieren auch ähnlich: Die langen Moleküle sind in den Hülsen gefangen und reichern sich weiter an. Die kleineren Moleküle von Abfallprodukten dagegen können ungehindert entweichen, ehe sie den Stoffwechsel zum Erliegen bringen. Die Schlote wirken wie Lebensfallen.

Russell und Martin glauben, mit ihrem Modell ein großes Problem gelöst zu haben: Schon lange rätselt die Fachwelt, wie das Leben im Wasser entstehen konnte, da doch bereits die allerersten Ansätze sich sogleich hoffnungslos verdünnt hätten. Kaum ein Forscher hängt heute mehr der Vorstellung einer homogenen "Ursuppe" an, in der sich die ersten Lebensbausteine irgendwie zusammenbrauten. Wie auch?, fragt sich William Martin. Der Biologe schlägt vor, versuchsweise mal eine kräftige Hühnersuppe zu pürieren. Hinterher hat man sämtliche Moleküle, die das Leben braucht, aber das Püree wird in alle Ewigkeit nicht mehr gackern. "Die Suppe ist in einem stabilen Zustand", sagt Martin, "es gibt nirgends ein Energiegefälle und damit auch kein Motiv für chemische Reaktionen."
 
Ganz anders im Umkreis der urzeitlichen Tiefseequellen: Zwischen Meer- und Quellwasser besteht ein chemisches Gefälle. Die beiden Flüssigkeiten - die eine leicht sauer, die andere alkalisch - unterscheiden sich auch in ihren elektrischen Eigenschaften. Dieses Gefälle liefert, ähnlich einer Batterie, die chemische Energie für die Reaktionen, die sich im Innern der Schlotbläschen abspielen.

Sollte tatsächlich irgendwo in den Schloten ein Lebensfunke gezündet haben, wäre das beileibe kein Einzelfall geblieben. Fachleute vermuten, dass auf dem Meeresgrund eine Reaktoranlage von wahrhaft planetaren Ausmaßen arbeitet. Sämtliches Wasser der Ozeane wird schätzungsweise alle
100 000 Jahre einmal durch die mehr oder minder heißen Tiefseequellen gepumpt.

Dass unter solchen Umständen Leben entsteht, ist für Russell und Martin kein Wunder, sondern eine chemische Selbstverständlichkeit. Die beiden gehören einer Denkschule an, die mehr und mehr Zulauf findet. Sie bezweifeln die gängige Theorie, wonach das Leben sich einem sensationellen Zufall verdankt: dem unvermittelten Auftreten von Molekülen, die sich selbst kopieren konnten.

Zwar ist weithin unstrittig, dass erst mit solchen Molekülen die biologische Evolution einsetzte - am wahrscheinlichsten mit einer Art RNA, wie sie heute noch in den Zellen ihren Dienst am Erbgut tut. Die Frage ist jedoch, wo vor Urzeiten diese RNA herkam, immerhin ein Riesenmolekül aus Bausteinen, die ihrerseits kompliziert genug sind. Kann es sein, dass ein solches Gebilde sich von allein zusammenbaute?

Der US-Chemiker Robert Shapiro vergleicht diese Auffassung mit einem Golfer, der einen Parcours von 18 Löchern bewältigt, nur um am Ende zu behaupten, sein Zutun sei entbehrlich gewesen - auch eine passende Folge von Erdbeben, Regengüssen und Sturmböen hätte den Ball 18-mal sauber einlochen können. Shapiro glaubt, dass den ersten RNA-Molekülen einfachere Puzzlestücke des Lebens vorausgingen, entstanden aus dem Stoffbaukasten der Chemie.

Die Gegner der "RNA zuerst"-Fraktion tasten sich deshalb vor in die Welt vor der ersten RNA. Sie suchen dazu nach Reaktionsketten, wie sie auch heute noch im Stoffwechsel der Lebewesen vorkommen. Zwei, drei Kandidaten werden bereits erprobt. Besonders interessant sind dabei geschlossene Kreisläufe, die mittels Kohlenstoff größere Biomoleküle aufbauen. An deren Ende kommt wieder die Ausgangssubstanz heraus, und der Zyklus beginnt von vorn; an geschützten Orten kann so eine Art Wachstum in Gang kommen.

Die Schlote mit ihren Wandbläschen seien dafür ideal gewesen, meint Russell. Der Geologe vermutet, dass es dort auch schon zu einer Vorform der Zellteilung kam: Ein Reaktionskreislauf, der in einem Bläschen gut eingespielt ist, kann in ein Nachbarbläschen übersickern. Zudem dürften sich an den Innenwänden mit der Zeit wasserabweisende Verbindungen angelagert und zu Kügelchen verfestigt haben - provisorische Zellhüllen. Irgendwann schlüpfte dann das erste Kügelchen aus seiner Behausung und versuchte sein Glück im offenen Meer.

Wo die Umwelt sich änderte, kamen womöglich leicht abgewandelte Zyklen zum Zuge - quasi eine chemische Evolution, die der biologischen vorausging. In ihrem Verlauf, so glaubt der Forscher, entwickelten sich frühe Biomodule, selbst noch kein Leben, aber doch schon unumkehrbar auf dem Weg dorthin. "Ich bin überzeugt, dass der Motor des Lebens lange lief, ehe die Steuerung durch Gene aufkam", sagt Russell. "Die umgekehrte Reihenfolge ist ziemlich schwer vorstellbar."

Noch ist der Streit der Fraktionen nicht entschieden. Es fehlte bisher vor allem an Experimenten. Denn die Frage nach dem Ursprung des Lebens findet kaum Geldgeber. So gehen ihr vorwiegend Forscher nach, die es sich leisten können: emeritierte Professoren, originelle Universaldenker oder Seiteneinsteiger wie der Münchner Patentanwalt Günter Wächtershäuser, der schon 1988 mit dem kühnen Modell einer "Eisen-Schwefel-Welt" Aufsehen erregte. Er war wohl der Erste, der einen plausiblen Stoffwechselkreislauf ohne Gene erdachte. Der studierte Chemiker glaubt, dass die ersten einfachen Lebensmoleküle sich am Meeresgrund auf Kristallen von Katzengold ansiedelten.

Für die Modelle der Fachkollegen hat Wächtershäuser freilich wenig übrig; die Konferenzen zum Ursprung des Lebens verlören sich seit Jahren in Kleingeisterei, meint er: "Da gehe ich gar nicht mehr hin."

Das Fach ist bekannt für die Streitlust seiner Vertreter; auch um Details werden gern vehemente Stellungskriege geführt - typisch für Disziplinen, die zu übermäßigem Theoretisieren verdammt sind.

Doch geht es auch um wahrhaft fundamentale Fragen. Allzu lang erträgt die Wissenschaft schon den Spott der Schöpfungsgläubigen, dass ihr ausgerechnet zum Lebensursprung nichts Rechtes einfallen will - doch ein Gottesgeschenk? Und wenn nicht, wo steht der Mensch im Kosmos? Sollte sich das Leben tatsächlich einem schwindelerregenden Zufall verdanken, ist die Erde wohl einzig in ihrer Art. Das Gegenteil aber gilt, wenn Russell recht hat: "Auf einem nassen, warmen Planeten", sagt er, "ist Leben unvermeidlich."

Die Naturgesetze ließen keine Wahl, meint auch der US-Biophysiker Harold Morowitz: Im Grunde sei das Leben "die Lösung eines Problems, das die Natur anders nicht lösen kann".

Das Problem ist der Wasserstoff. Im Gestein des Meeresgrunds wird dieser Energieträger, wie man heute weiß, unaufhörlich produziert. Trifft er auf das allgegenwärtige Kohlendioxid, entsteht ein prekäres Ungleichgewicht: Beiden Stoffen wohnt der Drang inne, miteinander zu reagieren. Doch der erste Schritt geht nur sehr langsam oder gar nicht vonstatten - er benötigt Anschubenergie.

Das Resultat: ein Energiestau auf der Suche nach Abfuhr. Ähnliches geschieht in Gewitterwolken. Oder in hochgelegenen Senken, in denen sich Wasser sammelt. Eine Lösung findet sich immer: Das Wasser bahnt sich einen Weg ins Tal, die Gewitterspannung entlädt sich in Blitzen.

Und als Abhilfe für das Wasserstoffproblem entstanden biologische Wesen. Sie bewerkstelligen, über viele Zwischenstationen, die erlösende Reaktion mit dem Kohlenstoff. Das Leben ist, so gesehen, ein kosmischer Kurzschluss.

Quelle
MANFRED DWORSCHAK
Der Spiegel 08.06.2009

Empfehlenswerte Lektüre zu diesen Thema sind die GEO kompakt Hefte Nr. 1 "Die Geburt der Erde" und Nr. 23 "Evolution"





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